Familienaufstellung bezeichnet ein Verfahren, bei dem stellvertretende Personen für Familienmitglieder eines Klienten stehen und konstellativ angeordnet (gestellt) werden, um aus einer dazu in Beziehung gesetzten Wahrnehmungsposition gewisse Muster innerhalb jenes Familien-Systems erkennen zu können. Das Familienstellen gründet auf der Vermutung, dass innerlich-grundlegende Beziehungen auch innerlich räumlich abgespeichert wirken – je nach Ausprägung funktional bis dysfunktional.
Inhaltsverzeichnis
Ablauf[Bearbeiten]
Familienaufstellung findet meist in Gruppen von zehn bis zwanzig Personen statt. Jemand, der eine persönliche Thematik lösen möchte, meldet sich, um für sich eine Aufstellung durchführen zu lassen. Der Aufstellungsleiter befragt diesen Klienten zu seiner Situation, zu seinem System (Gegenwarts- und/oder Herkunftssystem) und zu seinem Anliegen.
Für manche Familienmitglieder (welche als wesentlich zum Anliegen des Klienten vermutet werden) werden dann aus der anwesenden Seminargruppe Stellvertreter gewählt, die zueinander in Beziehung positioniert werden. Auch für den Klienten selbst gibt es einen Stellvertreter, der für dessen eigenes Ich (Fokus) steht und zu den anderen repräsentierten Familienmitgliedern in räumlichen Bezug gestellt wird. Mittels des intuitiven Positionierens von Stellvertretern „stülpt“ der Klient gewissermaßen sein inneres Bild hinsichtlich unbewusst abgebildeter Relationen (untereinander und in Relation zu seinem Fokus) nach außen in den Raum (Erstbild).
Weil bei der systemischen Aufstellungsarbeit davon ausgegangen wird, dass Symptomatik in loyalem Bezug (zu Einzelnen aus dem Familiensystem) entwickelt werde und „verstrickte“ Bezüge (innerhalb des Erstbildes) räumlich darauf hinweisen, können diese System-Relationen, weil von außerhalb, innerlich distanziert erlebt werden (dissoziiert über den Stellvertreter des eigenen Fokus).
Auf Grund der von den Stellvertretern eingenommenen Positionen können bei diesen Gefühle oder Gedanken entstehen, die oft in verblüffender Weise spiegelbildlich zu den repräsentierten Personen aus dem Familiensystem des Klienten seien. Dieses Phänomen wird in der Aufsteller-Szene als „repräsentierende Wahrnehmung“ bezeichnet. Die Angehörigen des Klienten würden im so strukturierten Raum der Wahrnehmungen gleichsam zu psychisch Anwesenden. Dabei würden Verstrickungen (dysfunktionale Systemdynamiken) offengelegt: Aufgaben, die dem Klienten (unbewusst) aufgebürdet worden seien (Delegation) oder eine Systemdynamik, die er unbewusst (aus Loyalität zum System) selbst entwickelt habe – die sein Leben dysfunktional präge.
Solche Muster möchten bei der Aufstellungsarbeit nachvollzogen und verändert werden. Um nicht einer „falschen Fährte“ zu folgen, werden bei Familienaufstellungen üblicherweise Offenlegungstests zu der vermuteten Kern-Systemdynamik[1] durchgeführt; erst dann kann in Richtung einer Lösung weitergegangen werden. So stellt sich der innere Ablauf klassischer Aufstellungsarbeit typischerweise in drei Schritten dar:
- Interview mit dem Klienten (zu seiner Symptomatik und zu Ungewöhnlichkeiten in seiner Familie)
- Offenlegung (Testen jeweiliger Kern-Systemdynamik und zur Veranschaulichung von Loyalitätsbezügen)
- Lösung (initiierende Intervention)
Neben dem Familienaufstellen in einer Gruppe gibt es auch die Möglichkeit, mittels Figuren oder Symbolen die einzelnen Familienmitglieder repräsentierend als soziales Gefüge zu stellen, woraus räumliche Korrelationen und relationale Abhängigkeiten zu erkennen sein können.
Voraussetzung und Vorbereitung[Bearbeiten]
Entscheidend für den sinnvollen Verlauf einer Familienaufstellung ist, dass der jeweilige Klient ein ernsthaftes Anliegen hat (Leidensdruck). Zur Vorbereitung auf eine eigene Familienaufstellung empfiehlt sich die Auseinandersetzung mit dem eigenen Herkunftssystem und auch, im Vorfeld ein Genogramm (inklusive Ungewöhnlichkeiten innerhalb des Systems) anzufertigen.
Ursprünge und ähnliche Verfahren[Bearbeiten]
- Der österreichische Arzt Jakob Moreno wählte im Psychodrama Stellvertreter für die betreffenden Personen eines zu betrachtenden Konflikts.
- Die „Familienskulptur“ (auch „Familienrekonstruktion“), entwickelt von Virginia Satir (Palo-Alto-Gruppe). Dieses Verfahren betonte die Bedeutung der räumlichen Anordnung bei der Prozessarbeit bzw. bei der Herausarbeitung der Bedeutung der Position von Familienmitgliedern und führte das Auswählen von „Stellvertretern“ unter dem Begriff „Familienskulptur“ im Jahr 1969 in die Fachwelt ein. Diese Technik ermöglicht den Klienten, Familienbeziehungen nonverbal darzustellen und zu erkennen. Widersprüche oder Abweichungen zwischen dem, was körperlich gezeigt, und dem, was gesagt wird, können reflektiert werden. Da hinderliche Pflichtgefühle vergessen werden, kann so ein recht wirklichkeitsgetreues Abbild der Gefühlsbeziehungen innerhalb der Familie entstehen. Anhand der dargestellten Konstellation kann sich der Therapeut ein Bild vom sozialen Gefüge machen, in dem der Klient lebt und von dem er beeinflusst wird. Gleichzeitig ist es dem Klienten möglich, innerhalb dieses nun auch in äußerlich sichtbarer Weise dargestellten Beziehungsgeflechtes unmittelbar eine Reaktion auf sein Verhalten zu erfahren, die anschließend auf der verbalen und emotionalen Ebene befragt werden kann.
- Teile aus der „NLP“ und insbesondere Anwendungen aus der Hypnotherapie nach Milton H. Erickson waren prägend für den Sprachgebrauch (Semantik) innerhalb der Aufstellungsarbeit.
- Ordnungen und Bindungen: Iván Böszörményi-Nagy, Geraldine M. Spark, USA 1973
- Die systemisch-phänomenologische Aufstellungsarbeit hat in den letzten 20 Jahren aus den verschiedensten Richtungen Impulse bezogen. Auch die Abwandlung zur Organisationsaufstellung (durch Gunthard Weber und Klaus Grochowiak) und die Strukturaufstellung (durch Matthias Varga von Kibéd) stellen weitere Entwicklungen aus der Aufstellungsarbeit mit Familien-Systemen dar.
- Familienbrett: Kurt Ludewig, Thea Schönfelder, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, wählten Holzfiguren zur szenischen Darstellung.
- Von Ruth McClendon und Leslie B. Kadis (Carmel Institute for Family Business, California, USA) lernte Bert Hellinger die Effekte einer Familienaufstellung ursprünglich kennen und baute diese Methode weiter aus. Ab 1999/2000 entwickelte er das Aufstellungsformat „Bewegungen der Seele“, wo entweder nur manchen oder auch allen Stellvertretern ihren innerlich auftretenden Bewegungstendenzen nach-zu-gehen (Hin-, Zu- oder Abwendung, etc.) erlaubt wird. Bei einer reduzierten Variante von Bewegungen der Seele wird nur der Stellvertreter des Klienten (Fokus) gestellt – in Erwartung „seiner“ nach außen repräsentierten (inneren) Bewegungstendenz.
Kritik an der Methode[Bearbeiten]
Skeptiker bezweifeln die Ernsthaftigkeit gegenständlicher Methodik vor allem aufgrund des Phänomens der „repräsentierenden Wahrnehmung“, die mancher Stellvertreter (für ein fremdes Familienmitglied stehend) erlebe. Peter Schlötter konnte in seiner Dissertationsarbeit (Universität Witten/Herdecke, 2005) mit einer großangelegten Untersuchung (2800 Einzelversuche) den empirischen Nachweis antreten, dass bestimmte repräsentierende Wahrnehmungen überindividuell reproduzierbar sind, dass also unterschiedlichste Personen (Stellvertreter) tendenziell gleiche Wahrnehmungen in Systemaufstellungen äußern.[2][3]
Kritik an Hellinger[Bearbeiten]
Bewusst bietet Bert Hellinger (der Begründer des „Familien-Stellens“[4]) nach erfolgten Interventionen keinerlei Nachbetreuung an. Aus Irritation und Unverständnis über diese unübliche Vorgehensweise sind Kritiker der Meinung, er „behandele“ in „Massenveranstaltungen“ Hilfesuchende vor vielen (ihnen fremden) Menschen quasi im „Schnellverfahren“ und überlasse sie anschließend ihrem Schicksal. Ebenso in Fachkreisen ist er höchst umstritten[5]. Konsequent verstößt er mit seinem Ansatz gegen allgemein gültige Ideale, Konzepte und Lehrmeinungen: Er vertritt die Meinung, dass innerhalb eines funktionalen Systems der jeweilige Rang des einzelnen Individuums nicht folgenlos frei wählbar sei. Diesbezüglich werden ihm u.a. rigide Normvorstellungen, patriarchales Denken, sowie unsensibles und dirigistisches Handeln im Umgang mit „Patienten“ vorgeworfen.
Eine Reihe von Therapeuten distanzierte sich von ihm und seinen Vorgehensweisen sogar auch öffentlich[6], wenngleich er an wenigen Stellen gewürdigt wird:[7] „Hellingers Verdienst bleibt es, dazu beigetragen zu haben, die Aufstellungsarbeit zu verdichten. Vor allem was die mögliche Auflösung von Verstrickungsdynamiken anbetrifft, hat er neue und innovative Vorgehensweisen entwickelt.“
Warnhinweise und Gefahren[Bearbeiten]
Die Teilnahme an Familienaufstellungen auch als Stellvertreter setzt im Allgemeinen normale körperliche und psychische Belastbarkeit voraus. Eine Familienaufstellung hat nicht a priori eine psychotherapeutische Wirkung, ebenso wenig wie dies z. B. für ein Gespräch gelten kann. Wenn Familienaufstellungen angeboten werden, so bedarf es im Allgemeinen zur psychotherapeutischen Wirksamkeit noch der fachkundigen Intervention des entsprechend ausgebildeten Aufstellungsleiters. Das Ziel bei der Aufstellungsarbeit (in abgeänderter Variante auch bei Einzelsitzungen) ist nicht generell und a priori ein therapeutisches. Gleichwohl sollte die Tiefenwirkung, die eine Aufstellung haben kann, nicht unterschätzt werden.
Literatur[Bearbeiten]
- Boszormenyi-Nagy, Ivan und Geraldine M. Spark: Unsichtbare Bindungen. Die Dynamik familiärer Systeme. Klett-Cotta, Stuttgart 1981 (dt. Erstausgabe 1973) ISBN 3608912975
- Weber, Gunthard: Zweierlei Glück. Die systemische Psychotherapie Bert Hellingers. Carl-Auer, Heidelberg 1993 ISBN 3927809195
- Prekop, Jirina und Hellinger Bert: Wenn ihr wüsstet, wie ich euch liebe. Wie schwierigen Kindern durch Familien-Stellen und Festhalten geholfen werden kann. Kösel, München 1998 ISBN 3466304709
- Ulsamer, Bertold: Ohne Wurzeln keine Flügel. Die systemische Therapie von Bert Hellinger. Goldmann, München 1999 ISBN 3442141664
- Stresius, Katharina, Joachim Castella und Klaus Grochowiak: NLP und das Familien-Stellen. Zur Komplementarität zweier Therapieansätze. Junfermann, Paderborn 2001 ISBN 3873874504
- Höppner, Gert: Heilt Demut, wo Schicksal wirkt? Evaluationsstudie zu Effekten des Familien-Stellens nach Bert Hellinger. Profil, München 2001 (Diss. Univ. München 2001) ISBN 3890195083; Online-Ausgabe bei Auer, Heidelberg 2006 ISBN 9783896705662
- Ruppert, Franz: Verwirrte Seelen. Der verborgene Sinn von Psychosen. Grundzüge einer systemischen Psychotraumatologie. Kösel, München 2002 ISBN 3466306000
- Hellinger, Bert: Ordnungen des Helfens. Ein Schulungsbuch. Carl-Auer, Heidelberg 2003 ISBN 3896704214
- Daimler, Renate, Sparrer Insa und Varga von Kibéd Matthias: Das unsichtbare Netz. Kösel, München 2003 ISBN 3466306248
- Innecken, Barbara und Madelung Eva: Im Bilde sein. Vom kreativen Umgang mit Aufstellungen in Einzeltherapie, Beratung, Gruppen und Selbsthilfe. Carl-Auer, Heidelberg 2003 ISBN 3896704192
- Franke-Gricksch, Marianne: Du gehörst zu uns! Systemische Einblicke und Lösungen für Lehrer, Schüler und Eltern. Carl-Auer, Heidelberg 2004 ISBN 3896703978
- Schäfer, Thomas: Was die Seele krank macht und was sie heilt. Die psychotherapeutische Arbeit Bert Hellingers. Droemer-Knaur, München 2004 ISBN 342677769X
- Schlötter, Peter: Vertraute Sprache und ihre Entdeckung. Systemaufstellungen sind kein Zufallsprodukt – der empirische Nachweis. Carl-Auer, Heidelberg 2005 ISBN 3896703382
- Ruppert, Franz: Trauma, Bindung und Familienstellen. Seelische Verletzungen verstehen und heilen. (Reihe: Leben lernen Bd. 177) Pfeiffer, München 2005 ISBN 3608897429
- Innecken, Barbara: Weil ich euch beide liebe. Systemische Pädagogik für Eltern, Erzieher und Lehrer. Kösel, München 2007 ISBN 3466307406
- Hausner, Stephan: Auch wenn es mich das Leben kostet! Systemaufstellungen bei schweren Krankheiten und lang anhaltenden Symptomen. Carl-Auer, Heidelberg 2008 ISBN 9783896706539
- Hellinger, Bert: Glück, das bleibt. Wie Beziehungen gelingen. Kreuz, Freiburg 2008 ISBN 3783130387
- Ulsamer, Bertold: Spielregeln des Familienlebens. Ordnungen der Liebe zwischen Eltern und Kindern. Herder, Freiburg 2009 ISBN 3451060442
- Hellinger, Bert: Die Heilung. Gesund werden, gesund bleiben. Hellinger Publication, Berchtesgaden 2011 ISBN 3942808013
Einzelnachweise[Bearbeiten]
- ↑ Abbildung(en) zu Kern-Systemdynamik
- ↑ Video zum Forschungsprojekt zur Aufstellungsarbeit von Peter Schlötter: Vertraute Sprache und ihre Entdeckung
- ↑ Video zum Forschungsprojekt zur Aufstellungsarbeit von Peter Schlötter: Epilog – Vertraute Sprache und ihre Entdeckung
- ↑ Informationen der DGFS (Deutsche Gesellschaft für Systemaufstellungen) zu Familienaufstellung.
- ↑ Übersicht kritischer Artikel zu Hellinger und Familienaufstellungen von unterschiedlichen Autoren
- ↑ Stellungnahme der Systemischen Gesellschaft – Potsdamer-Erklärung 2007
- ↑ Stellungnahme der Systemischen Gesellschaft – Potsdamer-Erklärung 2007
Weblinks[Bearbeiten]
- Fernsehsendung über die Aufstellungsmethode auf BRAlpha: „Was wir noch nicht wissen: Woher weißt du, was ich fühle?“
- Bert Hellinger über das Familien-Stellen
Siehe auch[Bearbeiten]
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