Das Spirituelle Heilen über Hermes Trismegistos
Der andere Zweig des Spirituelles Heilens, das Wissen, wird in der Tradition des alten Ägypten durch den Namen Hermes – Trismegistos vertreten. In der Überlieferung ist Hermes – Trismegistos eine legendäre Figur, halb Gott, halb Mensch, die Verkörperung des esoterischen Prinzips an der Schwelle zwischen der Epoche des alten ägyptischen Reiches und dem Hellenismus der Antike. In der Götterwelt Ägyptens ist Hermes – Trismegistos niemand anderes als der Gott Thoth, der Gott des Wissens, der die Hieroglyphen, die Heiligen Schriftzeichen, erfand, der den Kalender schuf, die Zeit maß und überhaupt jedes Meßsystem aufstellte, und der alles Wissen der Welt in einem geheimnisvollen Buch, dem »Buch Thoth«, aufzeichnete.
Es soll in den Katakomben seines Tempels zu Hermepolis verwahrt worden sein. Vom aufdämmernden Hellenismus her gesehen verkörpert Hermes – Trismegistos vor allem das geistige, philosophische Prinzip, das für viele Menschen der damaligen Zeit nicht mehr unbedingt mit dem Göttlichen und Transzendenten in Verbindung stand. Eine Legende berichtet, daß Alexander der Große, nachdem er das ägyptische Reich erobert hatte, an der Stelle, wo heute die Stadt Alexandria steht, das Grab des Hermes – Trismegistos gefunden habe. Als Alexander die Grabkammer betrat, lag da die Mumie von Hermes – Trismegistos, die in der Hand eine Tafel aus Smaragd hielt, auf der die Grundgesetze des Kosmos eingraviert waren: die smaragdene Tafel. Sie gilt auch heute noch als Grundtext der gesamten abendländischen Esoterik.
Die smaragdene Tafel hat folgenden Wortlaut:
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- 1. Wahr, wahr, kein Zweifel darin, sicher, zuverlässig!
- 2. Siehe, das Oberste kommt vom Untersten, und das Unterste vom Obersten; ein Werk der Wunder von einem Einzigen.
- 3. Wie die Dinge alle von diesem Grundstoff durch ein einziges Verfahren entstanden sind.
- 4. Sein Vater ist die Sonne, seine Mutter der Mond; der Wind hat ihn in seinem Bauch getragen, die Erde hat ihn ernährt.
- 5. Er ist der Vater der Zauberwerke, der Behüter der Wunder, vollkommen an Kräften; der Beleber der Lichter.
- 6. Ein Feuer, das zu Erde wird.
- 7. Nimm hinweg die Erde von dem Feuer, das Feine von dem Groben, mit Vorsicht und Kunst.
- 8. Und in ihm ist die Kraft des Obersten und des Untersten. So wirst du zum Herrscher über das Oberste und das Unterste. Weil mit dir ist das Licht der Lichter, darum flieht vor dir die Finsternis.
- 9. Mit der Kraft der Kräfte wirst du jegliches feine Ding bewältigen, wirst du in jegliches grobe Ding eindringen.
- 10. Gemäß der Entstehung der großen Welt, entsteht die kleine Welt, und das ist mein Ruhm.
- 11. Das ist die Entstehung der kleinen Welt, und danach verfahren die Gelehrten.
- 12. Und darum bin ich Hermes der Dreifache genannt worden.
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Wer den Mythos von Pari, dem Sohn des Hermes, im letzten Kapitel verstanden hat, dem wird ohne weiteres klar, warum der Name Hermes wieder in Erscheinung tritt. Auch hier vertritt Hermes das Prinzip der Veredelung, der Emporentwicklung und Verfeinerung, wie wir es im Mythos von Pan und Hermes kennengelernt haben.
Der Text der smaragdenen Tafel als Gesetz des Kosmos will Einsicht verschaffen in die großen Zusammenhänge und damit den Weg zur Erkenntnis freilegen. Auf eine Kurzformel gebracht bedeutet dies: Wer den Text der smaragdenen Tafel begriffen hat, hat auch das Universum begriffen.
Er wird dadurch in den Stand versetzt, diesem Wissen entsprechend zu handeln, sein ganzes Leben aus dieser Erkenntnis heraus zu gestalten und als Teil dieser großen Kosmischen Ordnung zu leben.
Die hermetischen Gesetze von Hermes – Trismegistos können in vier Grundprinzipien zusammengefaßt werden:
1. Alles, was auf einer oberen Ebene geschieht, findet seine Entsprechung auch in den unteren Ebenen. Was auf der oberen Ebene geschieht, wirkt auf die untere Ebene ein; und umgekehrt gesehen ist alles, was auf einer unteren Ebene vorhanden ist, ein Abbild dessen, was auf den oberen Ebenen ist und wirkt. In der Kurzfassung wird dieses Prinzip oft zitiert als: »Wie oben so unten«.
2. Alles in der Welt ist polar. Das bedeutet, daß alles, was ist, gewissermaßen in zwei Ausgaben, in zwei Polen, vorhanden ist, die zueinander in einem Spannungsverhältnis stehen, wie etwa männlich – weiblich, positiv – negativ, hell – dunkel, oben – unten, sichtbar – unsichtbar und so weiter.
3. Zwischen diesen mit unterschiedlichen Spannungsverhältnissen ausgestatteten Polen herrscht ein gegenseitiger Kraftfluß, der etwas Neues, ein Drittes, entstehen läßt, das mit den zwei ersten Polen zusammen eine neue Einheit bildet, die wiederum zum Spannungspol wird. Wenn beispielsweise ein Mann und eine Frau zusammen ein Kind erzeugen, so entsteht als neue Einheit die Familie, die sich mit einer anderen Familie zusammen zu einer Wohngemeinschaft entwickeln kann. Zwei Wohngemeinschaften können Ausgangspunkt für eine Siedlung sein und so fort. Das Beispiel kann beliebig fortgesetzt werden bis hin zur ganzen Menschheit.
4. Alles im Kosmos läuft zyklisch, rhythmisch ab und untersteht dem Gesetz der Balance und der Ausgewogenheit. Beispiele dafür sind der Herzschlag, der Atem oder das Gesetz der Gravitation im Weltall, das die Gestirne genau berechenbare Bahnen ziehen läßt, die sich in Jahrmilliarden so eingependelt haben, daß sich eine ganz deutlich erkennbare, ausgewogene Ordnung ergibt.
Bestünde diese Ausgewogenheit nicht, wäre der Kosmos längst aus den Fugen geraten und zerstört. Jeder aktiven Betätigung entspricht eine ihm gemäße Ruhephase. Ausdehnung und Zusammenziehung des Herzens machen den Herzschlag aus, Einatmen und Ausatmen den Atem. Und all das geschieht in einer ganz bestimmten Harmonie, damit es überhaupt funktionieren kann. Mit diesen vier Grundprinzipien ausgerüstet kann fast alles, was in der Esoterik vorkommt, erfasst und begriffen werden.